Frische Trüffeln

Das Gasthaus war klein, aber gemütlich. Nachdem er seinen Koffer im Zimmer abgestellt hatte, ging Marco in den Speisesaal. Scheinbar war er der einzige Gast. Auch gut, so hatte er seine Ruhe. Die Wirtin baute ihre imposante Figur vor seinem Tisch auf und dröhnte mit lauter Stimme: „Zum Abendessen würde ich Ihnen meine hausgemachten Trüffel-Ravioli empfehlen.“ Er legte die Speisekarte wieder hin. „Na, dann lasse ich mich doch überraschen.“ In diesem Augenblick kam eine jüngere Frau an den Tisch geeilt und sprach die Wirtin an: „Mama, kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen.“ „Du sollst mich doch nicht ansprechen, wenn ich am Bedienen bin“, knurrte diese, doch sie zog ihre Tochter mit zur Theke. Marco beobachtete, wie die beiden sich angeregt unterhielten, konnte aber kein Wort verstehen. Immer wieder blickte die Tochter verstohlen zu ihm. Wenn er noch zehn Jahre jünger wäre, würde sie ihm gefallen mit ihren braunen Haaren, die sie verwegen hochgesteckt hatte. Schliesslich verschwand sie wieder in der Küche und die Alte bellte ihm von der Theke her zu: „Also, die Trüffel-Ravioli, es ist nur noch eine einzige Portion da. Wollen Sie die?“ Er nickte. „Dann müssen Sie unbedingt auch unseren Hauswein probieren. Der passt ganz vorzüglich dazu, wunderbar erdig.“ Sie schenkte ein und brachte ihm ein Glas des dunkelroten, fast schwarzen Weines.

Wenig später kam die Tochter aus der Küche mit einem Teller dampfender Ravioli, offensichtlich selbst gemacht. Was ihn irritierte, war ihr resignierter Gesichtsausdruck und ihr Kopfschütteln, als sie den Teller vor ihm abstellte.

Die Ravioli schmeckten tatsächlich besonders. Leicht säuerlich, fast wie das Süssholz, das er als Kind so geliebt hatte, aber das Salz – definitiv zu viel davon – überlagerte alles.

Schon bald hatte er seinen Teller leer gegessen und in seinem Bauch breitete sich dieses wunderbar wohlige Völlegefühl aus. Es war Zeit, sich ins Bett zu legen, damit er morgen wieder fit war. Er bezahlte die Rechnung und verschwand auf sein Zimmer.

Sein Bauch grummelte, als er das Zimmer betrat. Kein gutes Zeichen. Dieses Rumoren in seinen Eingeweiden war bestimmt ein Vorbote eines kräftigen Durchfalls. Vielleicht hätte er doch weniger essen sollen? Oder lag es an den Pilzen? Waren die vielleicht nicht gut gewesen?

Marco legte sich aufs Bett, hielt seine Hände schützend auf seinen Bauch, der sich aufgedunsen anfühlte. Durch den Stoff seines Hemdes hindurch spürte er das Glucksen und Gurgeln.

Wie zu erwarten war, folgten gleich darauf die ersten Magenkrämpfe. Gleichzeitig schwand sein Bewusstsein, die Sicht wurde unscharf, das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. So ein Mist, die Alte hatte ihn vergiftet!

Er meinte zu sehen, wie die Tür aufging und die Wirtin ins Zimmer waberte, mit einem langen Messer in der Hand.

Sein Bauch pulsierte, von seinem Hemd sprangen die Knöpfe ab. Die Haut war straff gespannt, etwas drängte heraus.

Verschwommen sah er die Alte über sich stehen. „Meine Trüffeln wachsen schnell, nicht wahr? Schon ist Erntezeit.“

Sie setzte ihm das Messer auf seinen pulsierenden Bauch und schnitt ihn mit einer langsamen, geübten Bewegung auf.

Das Letzte, was Marco sah, waren die schrumpeligen, schwarzen Trüffeln, die aus seinem Bauch purzelten.

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